COCOON beschreibt ein visionäres Architekturkonzept, das bewohnbare Einheiten – sogenannte „Cocoons“ – unmittelbar aus natürlich vorkommenden Baumstrukturen wie Stümpfen, Wurzeln und Ästen entstehen lässt. Ausgangspunkt ist die Frage, wie sich der natürliche Zerfall von Holz nicht nur verlangsamen, sondern aktiv in eine symbiotische, gestalterische Ressource überführen lässt. Dabei geht es nicht um Konservierung im klassischen Sinne, sondern um eine gezielte Transformation, in der lebende Organismen das Ausgangsmaterial stabilisieren, umformen und dauerhaft nutzbar machen.
Formfindung durch Voronoi-Geometrie
Die Form der Cocoons orientiert sich an Prinzipien von Voronoi-Diagrammen – einer geometrischen Struktur, die in natürlichen Zellverbänden, Schaumstrukturen oder Pflanzengeweben häufig zu finden ist. Diese Methode erlaubt es, organisch wirkende, lastverteilende Formen zu entwickeln, die mit minimalem Materialeinsatz maximale strukturelle Effizienz erreichen. Das ermöglicht nicht nur architektonische Vielfalt und Leichtigkeit, sondern fügt sich auch formal nahtlos in naturnahe Umgebungen ein.
Aktuelle Anwendungen solcher Prinzipien finden sich etwa im biomimetischen Design oder in generativ gefertigten Leichtbaustrukturen (z. B. im 3D-Druck von Bauteilen aus Lehm oder Biopolymeren). Auch das Baubotanik-Feld nutzt ähnliche Ansätze, um tragende Strukturen durch gezieltes Pflanzenwachstum zu erzeugen.
Materialien: Leben als Baustoff
Die baulichen Elemente der Cocoons bestehen aus einem Verbund aus natürlichen, wachstumsfähigen oder atmenden Materialien. Dazu gehören:
Myzel (z. B. Ganoderma lucidum): Pilzgeflechte, die sich als Dämmstoff, Wandstruktur oder sogar als tragendes Element nutzen lassen. Ihre faserige, vernetzende Struktur stabilisiert das Holz von innen, verlangsamt den Zerfall und wirkt antibakteriell. Forschung an der TU Delft, der ETH Zürich und in Start-ups wie MycoWorks zeigt zunehmend belastbare Anwendungen.
Kletterpflanzen: Sie dienen nicht nur der Begrünung, sondern regulieren aktiv das Mikroklima. Über Blattflächen beeinflussen sie Temperatur, Luftfeuchte und Schattierung – ähnlich wie adaptive Fassaden in der Bauphysik.
Moose, Flechten und Algen: Diese leben auf den Oberflächen der Cocoons und übernehmen ökologische Funktionen – sie absorbieren Wasser, reinigen Luft und wirken isolierend. Algen könnten zudem in bioaktiven Photobioreaktoren integriert werden, um geringe Mengen Energie zu erzeugen.
Technologische Herausforderung: Holz als fragiler Werkstoff
Ein zentrales technisches Problem liegt in der biologischen Instabilität von totem Holz. Feuchtigkeit, Fäulnis und Pilzbefall führen zu struktureller Schwächung. Die Lösung liegt hier nicht im Ausschluss des Lebens, sondern in seiner gezielten Steuerung:
Myzel als lebender Zement: Durchwächst das Holz, stabilisiert es strukturell und verdrängt pathogene Mikroorganismen.
Biopolymere und natürliche Harze: Versiegeln die äußeren Schichten selektiv, ohne das Material zu ersticken. Solche Stoffe lassen sich z. B. aus Stärke, Chitin oder Lignin ableiten – alles Abfallprodukte aus der Land- und Forstwirtschaft.
Selektiver Zerfall statt Totalverfall: Die Cocoon-Struktur lebt mit dem Verfall und nutzt ihn, statt ihn zu bekämpfen – ähnlich wie ein Pilz, der organisches Material in fruchtbaren Boden überführt.
Ein lebendiges Habitat – mehr als Wohnen
Das langfristige Potenzial von COCOON liegt in der Idee einer hybriden Architekturform, die sich zwischen Objekt und Organismus bewegt. Die Cocoon-Einheiten sind nicht abgeschlossen, sondern eingebettet in ein Netzwerk von Lebenszyklen, klimatischen Bedingungen und Nutzerinteraktionen. Wenn die Menschheit von Beginn an symbiotische Architektur betrieben hätte, wäre diese Form der dynamischen, lebendigen Bauweise heute unser Alltag – nicht als exotische Ausnahme, sondern als kulturell etablierte Norm. Historische Beispiele wie die lebenden Wurzelbrücken in Meghalaya (Indien), die über Generationen gepflegt werden, oder die pflanzenintegrierten Siedlungen der Ma'dan im Irak zeigen, dass symbiotische Ansätze nicht nur möglich, sondern über Jahrhunderte tragfähig und anpassungsfähig sind. Stattdessen wurden diese Methoden durch extraktive und industrielle Bauweisen verdrängt. Hätten wir diese Tradition fortgeführt, wären unsere Städte heute wahrscheinlich durchsetzt von selbstreparierenden, atmenden und ökologisch integrierten Strukturen – ähnlich natürlichen Ökosystemen, die über Jahrtausende optimiert wurden, und vergleichbar mit den Prinzipien, die heute in Projekten wie den "Fab Tree Hab" von Mitchell Joachim oder den lebenden Materialien des MIT Mediated Matter Lab erforscht werden.
Der Mensch ist nicht nur Bewohner, sondern Pflegender, Mitbewohner und Stimulusgeber. Die Architektur wird nicht gebaut, sondern gezogen, gepflegt, verändert. Dieses Konzept steht in einer Reihe mit aktuellen Forschungen zur Regenerativen Architektur, zu lebenden Materialien und zur symbiotischen Ökotechnologie (vgl. z. B. die Arbeiten von Rachel Armstrong, Mitchell Joachim oder dem MIT Mediated Matter Lab).